Montag, 15. Dezember 2008

"Anwalt der Balten" oder Anwalt in eigener Sache?

Helge Dauchert:
"Anwalt der Balten" oder Anwalt in eigener Sache?
Berliner Wissenschafts-Verlag (BWV) 2008, 371 Seiten, 44 Euro.

Die deutsche Baltikumpolitik 1991–2004
Die auffällige Zurückhaltung gegenüber Estland, Lettland und Litauen trug der Bundesregierung schon in den neunziger Jahren den Vorwurf ein, sie vernachlässige die baltischen Kleinstaaten zu Gunsten einer auf nationale Interessenmaximierung fixierten und an Russland orientierten Realpolitik. Diese gängige Interpretation wird in der Untersuchung zurückgewiesen. Grund für die deutsche Zurückhaltung gegenüber den Balten waren die umfassenden Pläne zur Schaffung eines friedlichen und integrierten Europas, welche die Bundesregierung bereits in den frühen neunziger Jahren in eine doppelte Zwickmühle brachten: Zum einen erwies es sich als ungeahnt schwierig, sowohl die in Maastricht auf den Weg gebrachte institutionelle Vertiefung der EU als auch deren Erweiterung zeitgleich voranzutreiben. Zum anderen stießen die deutschen Bemühungen, Russland an die westlichen Strukturen heranzuführen, auf den Widerstand der übrigen MOE-Staaten, die sich um eine Abgrenzung von Russland bemühten. Diese Schwierigkeiten hatten zur Folge, dass die Erweiterung der EU und der NATO zum einen aufgeschoben und zum anderen auf einen kleinen Kreis von Bewerberstaaten beschränkt werden musste. Die Situation wurde für die Balten zusätzlich dadurch verschärft, dass die Bundesregierung auf Grund ihrer Bemühungen, sich von der Außenpolitik ihrer Vorgänger zu distanzieren, gerade dort mit größter Zurückhaltung agierte, wo die historisch-kulturellen Verbindungen einst besonders ausgeprägt waren. Der Eindruck, Deutschland dränge auf eine Wiederherstellung der alten Einflusssphären in Mittelosteuropa, sollte unter allen Umständen vermieden werden. Diese Kombination aus praktischen und historisch-moralischen Ursachen verhinderte, dass die Anwaltschaft, welche die Bundesregierung 1991 gegenüber den baltischen Staaten erklärt hatte, in den darauffolgenden Jahren mit Leben gefüllt wurde. Ironischerweise deuteten einige internationale Beobachter eben diese Zurückhaltung als Indikator für die Rückkehr Deutschlands zu einer auf nationale Interessenmaximierung fixierten Realpolitik.

Dienstag, 25. November 2008

Vilnius im Wandel

Untertitel: Wohnsegregation in einer ostmitteleuropäischen Hauptstadt
ISBN 10: 3-86573-184-8
ISBN 13: 978-3-86573-184-5
458 S. 46 EUR. 2006 (Diss.)
Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2006

Verlagstext:
Die litauische Hauptstadt hat sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion grundlegend gewandelt. Die Innenstadt wurde saniert, neue Quartiere sind entstanden. Andererseits zerfallen die Großsiedlungen am Stadtrand zusehends. Jolita Lenkeviciute beschreibt, wie sich unter den gegenwärtigen Bedingungen der freien Wohnwahl eine neue Dynamik der sozialräumlichen Segregation entfaltet. Auf der Grundlage umfangreichen empirischen Materials, repräsentativer Umfragen und qualitativer Interviews erfasst sie das Wohnverhalten der Menschen in den Vilniuser Großquartieren in der Phase der Transformation.
Im Wandel offenbart sich zugleich die Kontinuität sozialräumlicher Ungleichheit, die noch aus dem Staatssozialismus stammt. Die in der Sowjetzeit erwachsenen städtischen Segregationsmuster bestehen fort, die Mobilitätsentscheidungen der Bewohner sind weiterhin von ihrer staatsozialistischen Erfahrung bestimmt. Jolita Lenkeviciute verweist auf die historischen Tiefenschichten der Dynamik sozialräumlicher Differenzierung und sie verdeutlicht - Georg Simmels stadtsoziologische Reflexionen aufgreifend - die kulturelle Dimension der Transformation. Denn der Wandel von Vilnius wird erst vor dem Hintergrund von Sozialisationsprägungen, Wahrnehmungsmustern und Handlungsstrategien der Bewohner verständlich.
Buchvorstellung durch INFOBALT in:
Baltische Stunde Nr.110, 20.November 2008 - Radioweser.tv

Sonntag, 5. Oktober 2008

Eeva Park: Falle, unendlich

aus dem Estnischen von Irja Grönholm, 224 Seiten, Reihe estonia, ihleo verlag, Husum 2008, ISBN 978-3-940926-02-9, 19,95 €.

Verlagsinfo:
Ein früher Winter in Tallinn, nasse Kälte durchzieht die verfallenen Häuser am Stadtrand, in die sich Tiiu geflüchtet hat – zu den Obdachlosen, den Säufern, den verwahrlosten Straßengören und Fixern, den Verlierern der neuen Zeit. Doch Tiiu gehört hier nicht hin, denn sie hat einen Plan ...
Die estnische Erfolgsautorin Eeva Park erzählt in ihrem Thriller die Geschichte der jungen, lebenslustigen Tiiu Sakkeus, die ihren Lebenshunger und Leichtsinn bitter bezahlt: Ein altes Briefmarkenalbum –noch aus Sowjetzeiten und davor – verspricht schnelles Geld, und sie vertraut leichtsinnig ihrem neuen Freund Lars, der sie nach Deutschland bringt. Doch dort wird ihr brutal klar gemacht, dass nicht die Briefmarken die Ware sind, sondern sie selbst.
Nach einer Odyssee, nach Zwangsprostitution und Mord schafft es Tiiu tatsächlich wieder nach Estland zurück, und sie will Rache nehmen. Aber sie hat sich verändert ...
FALLE, UNENDLICH ist ein rasanter, psychologisch präziser Thriller um die Frage, was wir tun, wenn wir aus unserer vertrauten Welt gewaltsam herausgerissen werden. Zu was sind wir dann fähig?
Ein Roman für anspruchsvolle Krimifans und Liebhaber packender Unterhaltung, die aktuelle Themen in zeitgemäßer Form auf internationalem Niveau lesen wollen. Zynisch und poetisch, realistisch und ausdrucksstark zugleich. 


Zur Autorin:
Eeva Park wurde 1950 in Tallinn (Estland) geboren, arbeitete als Porzellan- und Seidenmalerin und seit 1985 als freie Autorin. Von ihr sind bislang drei Romane, vier Bände mit Kurzprosa und fünf lyrische Werke veröffentlicht worden, die mehrfach ausgezeichnet wurden. Übersetzungen ins Finnische, Englische, Norwegische, Russische, Schwedische und Ungarische sind bereits erfolgt; FALLE, UNENDLICH ist Eeva Parks literarisches Debüt in Deutschland.
Dieser Thriller wird zurzeit in Schweden verfilmt.